Aber sag nicht, dass es von mir kommt!
- Mirjam Hecky
- 30. Mai
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 3. Juni
Du bist als Führungskraft kein anonymer Briefkasten.
Ich nehme Dich mit in folgendes Bild:
Es ist 13:45 Uhr. Du bist zum ersten Mal heute im Büro und hast eine kurze Verschnaufpause. Der Frühdienst war mal wieder unterirdisch anstrengend, Du musstest am Bett mitarbeiten, und Du weißt schon jetzt, dass Du länger bleiben musst, weil Du zu gar nichts gekommen bist. Dann klopft es und Deine Mitarbeiterin kommt rein (nennen wir sie Yvonne). Sie macht die Tür hinter sich zu, setzt sich hin, senkt die Stimme und sagt:
„Ich muss dir jetzt mal was erzählen. Die Heike ist eine Zumutung. Die Doku ist schon wieder katastrophal. Die anderen ärgern sich auch schon, weil es dadurch immer öfter zu Problemen kommt. Kannst du das nicht mal ansprechen? Aber sag nicht, dass es von mir kommt."
Kennst du das? Dann: Herzlichen Glückwunsch 🥳 Du bist von Deinen Mitarbeitenden offiziell zum anonymen Briefkasten befördert worden.

Der anonyme Briefkasten – typisch Pflege?
Ich habe wenig Vergleich mit anderen Branchen, aber durch meine Arbeit mit Teams und Führungskräften erlebe ich:
Probleme im Team werden in der Pflege sehr häufig über die Führungskraft ausgetragen, statt sie direkt mit der betreffenden Person zu klären. Warum ist das so?
💬 Meine Vermutung
Die Arbeitsbedingungen und typische Charaktere Mitarbeitender in der Pflege fördern dieses Verhalten:
Enge Zusammenarbeit
Pflege ist Teamarbeit.
Niemand will hier jemanden zum Feind haben. Es muss einfach laufen.
Gestörter Teamfrieden
Zeitmangel
Keine Feedback-Räume
Fehlendes Handwerkszeug
Hieararchiedenken
Angst vor Konsequenzen
Eigene Unsicherheit
So verständlich all das ist!
Es bringt dich als Führungskraft in eine verdammt schwierige Lage, wenn Du Dich nicht abgrenzt bzw. Grenzen aufzeigst. Denn Konflikte werden auf diese Art und Weise nicht dort bearbeitet, wo sie entstehen – also im Team. Sondern bei dir. Über Dich.
Und ja: Das klingt erstmal nach Vertrauen in Deine Person. Ist aber in Wahrheit einfach nur das Abdrücken von Verantwortung.
Das Dilemma der anonymen Botschaft
Wenn Du Dich vor den Karren spannen lässt, entsteht eine Dynamik, die Deine Führungsrolle langfristig schwächt und Deinem Team mehr schadet, als nützt:
🚩 Du wirst zur Gerüchteküche-Zentrale.
Plötzlich bist du nicht mehr die Führungskraft, sondern die Person, der man alles erzählt. Weil bekannt ist, dass Du es regelst. Egal worum es geht.
🚩 Du stärkst Abhängigkeit statt Eigenverantwortung. Deine Mitarbeitenden lernen: Konflikte löst die Führungskraft. Eigenverantwortung? Überbewertet!
🚩 Du schadest der Teamkultur. Wenn Themen „hintenherum“ geregelt werden können, stirbt offene und selbstverantwortliche Kommunikation. Und Du bist Teil eines Systems, das Schweigen belohnt.
🚩 Du hast noch mehr Arbeit als sowieso schon. Du wirst zum Konfliktmanager, zum Übersetzer, zum Schlichter. Du übernimmst Verantwortung und vermittelst in einer Situation, die nicht Deine ist!
🚩 Du setzt stillschweigend voraus, dass die Beschwerde berechtigt ist. Denn sonst würdest Du die "schuldige" Kollegin ja gar nicht auf die Situationen ansprechen. Aber: Was, wenn Yvonne die Situation falsch einschätzt oder selbst Teil des Problems ist?
🚩 Du nimmst Mitarbeitenden die Möglichkeit, sich zu erklären
Heike weiß nicht genau, was passiert ist und unter welchen Bedingungen. Und Du weißt es auch nicht. Vielleicht gibt es einen triftigen Grund für ihr Handeln. Du führst kein Klärungsgespräch, sondern erzeugst künstlich eine Verteidigungsposition.
Und das Tragische daran: Du glaubst vermutlich, Du bist fürsorglich, fair und machst es allen recht.
Doch in Wahrheit trägst Du dazu bei, dass Konflikte schwelen, lebendig bleiben, Menschen gegeneinander arbeiten und Teamstrukturen bröckeln.
Was das bei Betroffenen auslösen kann
Stell dir nun vor, du gehst zu Heike und sagst: "Mir ist zu Ohren gekommen, dass es Beschwerden über Deine Dokumentation gibt. Ich darf aber nicht sagen, von wem."
Und jetzt versetze Dich in Heikes Lage: Was glaubst Du, wie es ihr damit geht und was es in ihr auslöst? Achtung! Die Liste ist erschütternd lang:
😶 Hilflosigkeit "Wie soll ich reagieren, wenn ich nicht weiß, wer was gesagt hat oder in welchem Zusammenhang die Kritik geäußert wurde?“
🤐 Misstrauen & Entwicklung von Fantasien „Wer redet hinter meinem Rücken? Ist das jetzt eine Einzelmeinung oder denken alle so über mich? Das war bestimmt XY!“
😳 Scham & Selbstzweifel „Bin ich wirklich so schlecht? Habe ich versagt? Redet das ganze Team über mich? Bin ich es nicht wert, dass man mit mir direkt spricht?“
🧊 Isolation & Rückzug „Dann sage ich am besten gar nichts mehr und ziehe mich zurück. Ich fühle mich total unsicher. Vielleicht verlasse ich lieber das Team.“
😤 Wut & Aggression „Gut. Dann werde ich entsprechend verbal zurückschlagen und zum Gegenangriff übergehen – und sicherheitshalber richte ich den Angriff pauschal gegen alle. So was lasse ich mir nicht gefallen. Ich wehre mich.“
💔 Trauer & Enttäuschung „Dabei setze ich mich so sehr für mein Team und die Patienten ein! Es fühlt sich echt an wie Verrat!“
🤝❌ Verletzes Vertrauen in Deine Führung „Wieso sagst Du mir nicht, wer das war? Wieso schützt Du die andere Person, aber mich nicht? Wie kannst Du mich in diese Situation bringen, in der ich mich nicht verteidigen kann? Ich fühle mich von Dir im Stich gelassen!“
Und das alles nur, weil Du ein Gespräch führst
in dem es nicht um echte Klärung geht
aus dem niemand etwas lernen kann
dass unnötig aufwühlt und wertvolle Ressourcen bindet.
Was du hier führst, ist kein Kritikgespräch.
Auch kein konstruktives Feedbackgespräch.
💣 Du zündest eine emotionale Bombe.
Glaub mir: Das lohnt sich nicht!
Sei nicht DIESE Führungskraft!
Was du stattdessen tun kannst: Das TALK©-Modell
Wenn dich jemand ins Vertrauen zieht mit der Bitte: „Aber sag nicht, dass es von mir kommt“, dann orientiere Dich an meinem TALK-Modell. Es hilft Dir, klar und gleichzeitig wertschätzend zu reagieren – ohne Dich zum Sprachrohr anonymer Botschaften machen zu lassen.
🗣️ T wie Thema benennen
Mach sichtbar, dass Du das Anliegen gehört hast – aber benenne auch klar, dass Du es nicht weitergeben kannst: „Ich höre, dass Dich das Thema beschäftigt. Damit es eine gute Lösung geben kann, ist es wichtig, dass Du das direkt ansprichst und mit der Person selbst klärst.“
🗣️ A wie Abgrenzen
Übernimm nicht die Verantwortung für das Gespräch. Mach deutlich, dass Du nicht anonymer Botschafter sein wirst: „Ich kann das Thema nicht stellvertretend für Dich ansprechen, wenn ich gar nicht dabei war. Es wäre nicht fair, und es hilft X auch nicht dabei, sich zu verbessern.“
🗣️ L wie Lösung begleiten
Biete Begleitung an, aber keine Stellvertretung. Frag nach, was die Person braucht, um selbst ins Handeln zu kommen: „Was brauchst Du, um das Gespräch gut führen zu können?“ „Wenn Du Dich unsicher fühlst, kann ich das Gespräch moderiereen, aber nicht für Dich führen. Die Verantwortung bleibt bei Dir.“
🗣️ K wie Kultur gestalten
Nutze die Situation, um langfristig Teamkultur zu entwickeln und zum Ausdruck zu bringen, was Dir in der Zusammenarbeit wichtig ist, wie der Umgang mit Konflikten gehandhabt werden soll – auch zum Schutz Deiner Person und Deiner wertvollen Zeit- und Energieressourcen: „Mir ist wichtig, dass wir im Team offen miteinander sprechen, damit Vertrauen und Zusammenarbeit gestärkt werden. Ich bitte Dich daher, solche Situationen in Zukunft selbständig zu lösen und mich nur hinzuzuziehen, wenn Du bereits alles versucht hast bzw. wirklich nicht mehr weiter weißt.“
💡 Hänge Dir das TALK-Modell über Deinen Schreibtisch! Es gibt Dir eine klare Struktur für heikle Situationen – ohne Dich zu verbiegen. Und es unterstützt Dein Team dabei, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen. Denn Deine Aufgabe ist es nicht, alle Konflikte zu lösen oder Verantwortung für andere zu übernehmen – sondern Räume zu schaffen, in denen Austausch und Klärung möglich ist.
So könnte Deine Zukunft aussehen
Die ersten Male wird es sich ungewohnt anfühlen – für Dich und Dein Team. Manche werden irritiert sein, vielleicht sogar enttäuscht. Das ist normal. Du veränderst gerade ein lang eingeübtes Muster. Niemand liebt es, Gewohnheiten zu ändern. Ich übrigens auch nicht!
Langsam, aber sicher, könnte aber auch etwas Magisches passieren:
✨ Deine Mitarbeitenden werden mutiger Sie lernen: Konflikte sind lösbar – und zwar von ihnen selbst. Das stärkt ihr Selbstvertrauen und ihre Konfliktfähigkeit.
✨ Die Gerüchteküche schließt Wenn klar ist, dass du keine anonymen Botschaften weiterträgst, hört das Getuschel auf. Probleme werden dort gelöst, wo sie entstehen.
✨ Du gewinnst Zeit zurück Statt ständig die Feuerwehr für andere zu sein, kannst Du Dich auf Deine eigentlichen Führungsaufgaben konzentrieren: Strategische Führungsarbeit, die Weiterentwicklung Deines Teams und Eurer gemeinsamen Vision.
✨ Vertrauen wächst – in alle Richtungen Dein Team weiß: Bei Dir gibt es keine "Hintenrum"-Gespräche. Was besprochen wird, geschieht transparent. Das schafft psychologische Sicherheit - die Grundlage für jedes stabile Team.
✨ Du bist Vorbild Du zeigst: Direkte und offene Kommunikation ist Dir wichtig, ist möglich und auch erwünscht. Nach und nach übernimmt dein Team diese Haltung. Eine neue Kultur entsteht.
✨ Die Teamleistung steigt Teams, die Konflikte direkt und offen klären, verschwenden keine Energie in Grabenkämpfen. Sie arbeiten effektiver zusammen – und das wird sich im Alltag bemerkbar machen.
Es könnte ja wirklich gut werden!
Hast Du Lust, Deine Führungsarbeit tiefer zu reflektieren?
Im Intensivseminar TimeOut bekommst Du genau das: Zeit und Raum für Dich und für eine neue Verbindung zwischen Deiner persönlichen und beruflichen Rolle, sowie auch zu Deinem Team.
Zwei Tage – offline, intensiv.
Zwei Tage, die nicht laut sind, aber nachhallen werden.
TIME OUT ist keine Wellnessreise. Und auch kein Stressmanagement-Seminar.
Es ist exklusive Zeit für Deine Führungsarbeit – jenseits von Störungen, To-do-Listen und Dauerfunktionieren.
📌 Alle Infos findest Du hier.
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Weil Führung Pflege verdient.
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